Mangelnde „Mitarbeit“ des sales agent als Kündigungsgrund samt Entfall des Ausgleichs? (OLG Graz 23. 4. 2024)

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Bisweilen wird dem sales agent vorgeworfen, den business partner nicht hinreichend unterstützt zu haben. Im vorliegenden Fall hat dieser den sales agent daraufhin gekündigt. Die Frage war, ob der Ausgleichsanspruch dadurch entfallen ist… 

 

Die Vorgeschichte

 

Der deutsche sales agent war für ein österreichisches Unternehmen in Deutschland seit 2007 tätig. Er hat dort in Kliniken und Krankenhäusern die Reparatur von Sonden vermittelt. Der business partner hat den Vertrag im November 2020 per 31. 5. 2021 gekündigt. In jenem Schreiben wurde von „Vertrauensunwürdigkeit“ gesprochen und zwei Vorwürfe erhoben. Zum einen wurde das Verhalten des sales agent bei einem Meeting im Juli 2020 angesprochen, zum anderen, dass er in drei Monaten nicht in der Lage gewesen sei, gemeinsame Kundentermine mit dem neuen Verkaufsleiter zu organisieren.

 

Was sagt das Handelsvertreterrecht?

 

Ausdrücklich sagt das Gesetz dazu nichts. Der Handelsagent unterliegt einer allgemeinen Bemühungs- und Interessenwahrnehmungspflicht; eine wesentliche Vertragsverletzung wäre ein Grund für eine fristlose Auflösung. Kündigt der Lieferant den Handelsagentenvertrag wegen einer solchen, verschuldeten Vertragsverletzung (unter Einhaltung der Frist oder fristlos), entfällt grundsätzlich der Ausgleichsanspruch.

 

Entscheidung des Erstgerichts

 

Der sales agent hat den Ausgleichsanspruch eingeklagt. Im Verfahren behauptete der business partner weitere Verstöße. So hätte der sales agent keine hinreichende Rückmeldung zu der Frage des Lieferanten gegeben, wie er die offenen Angebote einschätze. Der sales agent hatte „nur“ geantwortet, er werde dem nachkommen, sehe das aber als Probelauf für die nächsten zwei Monate.

 

Als der neue VL im Oktober nach Terminen fragte, schlug der sales agent Termine für die 50. und 51. KW vor.

 

Zudem sollte er eine Excel-Tabelle zu den Top 10-Kunden und seiner „Pipeline“ befüllen. Er antwortete, dass die umsatzmäßigen Top 10-Kunden bekannt seien müssen. Und seine „Pipeline“ sei die generelle Akquise, er würde sich aber freuen, die Pipeline des business partners zu erfahren.

 

Dass und wie der business partner reagiert hatte, wurde weder behauptet noch festgestellt. Das blieb also im Dunkeln.

 

Dennoch hat das Erstgericht die Klage dem Grunde nach abgewiesen. Der Kläger hätte die Auflösung verschuldet. Er sei dem Ersuchen nach gemeinsamen Terminen nicht nachgekommen und hätte die Mitarbeit verweigert. Das Verhalten beim Meeting rund 4 Monate zuvor sei zwar verfristet. Der Kläger hätte aber auch Informationen für Marktanalysen verweigert („Marktlücken suchen“). Dass der business partner eine ordentliche Kündigung ausgesprochen hat, also keine fristlose, schade nicht.

 

Entscheidung des Berufungsgerichts

 

Das OLG Graz hat dies anders gesehen. So sei schon der Verweis des Klägers auf die Top 10-Kunden korrekt. Auch wie viele Angebote von den Kunden angenommen wurden (es wurde tatsächlich nach den Erfahrungswerten der Vergangenheit gefragt), muss der business partner selbst wissen. Und ganz wichtig: in einer Verweigerung gemeinsamer Kundentermine liegt kein vertragswidriges Verhalten. Und was die Marktanalysen anlangt: den sales agent trifft ohne ausdrückliche vertragliche Verpflichtung keine, über die allgemeine Vermittlungstätigkeit hinausgehende Pflicht zur Markt-, Produkt- oder Kundenpflege. Bereits inhaltlich lag also kein hinreichender Auflösungsgrund vor.

 

Weitere Aspekte

 

Dazu kam, dass das Kündigungsschreiben nicht den formalen Anforderungen genügte. Denn der business partner hatte nicht deutlich gemacht, „eigentlich“ wegen eines fristlosen Auflösungsgrundes zu kündigen. Der allgemeine Bezug auf eine „Vertrauensunwürdigkeit“ genügte nicht. Zudem wäre eine Abmahnung erforderlich gewesen, die auch weder behauptet noch festgestellt wurde.

 

Im Ergebnis steht der Ausgleichsanspruch dem Grunde nach zu. Das Verfahren ist also zur Höhe fortzusetzen.

 

Praktische Auswirkungen

 

Die Entscheidung ist in den genannten Punkten sicher sehr erfreulich und auch klarstellend. Dennoch sei gewarnt: dies ist kein Freibrief, Anliegen und Anfragen des business partners mit dem Hinweis auf die Selbstständigkeit des Agenten abzutun. Es kommt dabei auf den Einzelfall an, also auf, sofern vorhanden, den schriftlichen Vertrag, die Bedeutung der Angelegenheit, die konkrete Anfrage des business partners und auch die Antwort des sales agent sowie dessen Verhalten in der Vergangenheit. Die Entscheidung hilft aber, überzogene Aufforderungen „abzuwehren“ oder zumindest zu relativieren.

 

 

Ihr Ansprechpartner: RA Dr. Gustav Breiter

 

 

Siehe auch die bisherigen Beiträge unter:

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