Zu alt für den Ausgleichsanspruch? (OLG Celle 11 U 86/21)

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Wenn der sales agent das Regelpensionsalter erreicht, kann er ausgleichswahrend kündigen. Doch was gilt, wenn er dieses Alter bereits bei Übernahme der Vertretung erreicht hatte? 

 

Übernahme der Vertretung im Regelpensionsalter

 

Im vorliegenden Fall, der auf das österreichische Recht übertragbar ist, hatte ein deutscher Versicherungsagent den Vertrag im Alter von 66 Jahren übernommen. Das Regelpensionsalter betrug für ihn 65 Jahre. Im Zeitpunkt seiner Kündigung war er 74 Jahre alt.

 

Was sagt das Handelsvertreterrecht?

 

Nun stellt das Gesetz darauf ab, ob der sales agent aus Altersgründen gekündigt hat („ihm die weitere Fortsetzung wegen seines Alters nicht zugemutet werden kann“). Hat der sales agent das Regelpensionsalter erreicht, ist dies anerkannt. Hier greift die gesetzliche Vermutung ein, dass eine Fortsetzung seiner Tätigkeit unzumutbar ist.

 

Entscheidung des Gerichts

 

Nach Ansicht des OLG Celle gilt dies aber nicht ohne weiteres, wenn der Agent bereits bei der Übernahme der Vertretung im Regelpensionsalter war. Es verwies auf eine Entscheidung des OLG Köln, in dem dies genauso gesehen wurde. Dort war der Handelsagent bei Übernahme der Vertretung bereits 70 Jahre alt und hat 3 Jahre später gekündigt. Nach der Ansicht der Gerichte müssen in diesem Fall (neben dem Alter) weitere Umstände hinzutreten, die eine Fortführung der Tätigkeit unzumutbar machen.

 

Das OLG hat dies wie folgt argumentiert: würde man auch bei einem Agenten, der sich im Regelpensionsalter für eine Vertretung entscheidet, allein auf sein Alter ab, würde dies ein jederzeitiges (ausgleichswahrendes) Kündigungsrecht bedeuten. Das wäre eine „Privilegierung“ des eben schon älteren Agenten im Vergleich zu anderen. Durch die Aufnahme einer Vertretungstätigkeit bereits im Regelpensionsalter hat er sozusagen selbst die Vermutung widerlegt, dass diese Tätigkeit unzumutbar wäre. Er muss also (so wie nach österreichischem Recht bei der vorzeitigen Alterspension) weitere Umstände beweisen, die die  weitere Tätigkeit unzumutbar machen.

 

Weitere „Verdachtsmomente“

 

Im vorliegenden Fall hatte sich der sales agent aber auch – das ist schon zuzugeben – „verdächtig“ gemacht. So hat er selbst ausgesagt, weiterhin als Makler tätig zu sein. Und sein Vertrag als Versicherungsagent wäre ohnehin rund 9 Monate nach seinem Ausscheiden ausgelaufen. Dennoch hat das Gericht dies nur erwähnt, die Begründung ist und bleibt eine rechtliche. Es wurde ja auch auf die genannte Entscheidung des OLG Köln verwiesen, in der keine Rede davon war, dass der Agent weiterhin beruflich tätig gewesen wäre.

 

Praktische Auswirkungen

 

Diese Entscheidungen werfen in der Praxis Probleme auf. Denn worauf es bei der Darlegung der Unzumutbarkeit im Detail ankommt bzw. was dazu an Vorbringen erforderlich ist, sagt das Gericht nicht. Zudem hat es eines nicht hinreichend beachtet: nur weil der Agent mit 66 Jahren eine Vertretung übernimmt, heißt dies nicht, dass die Tätigkeit mit 74 Jahren (immer noch) zumutbar sein muss. Und überhaupt: die Vermutung der Unzumutbarkeit gilt dann zukünftig gar nicht mehr, auch nicht mit 90 Jahren?

 

Die praktischen Anwendungsfälle sind häufiger als man im ersten Augenblick denkt. Es wird zwar nicht jeden Tag vorkommen, dass ein sales agent im Regelpensionsalter noch eine Vertretung übernimmt. Es kommt aber sicher schon häufiger vor, dass ein Agent „seine“ Vertretung wieder übernimmt, nachdem er die vorzeitige Alterspension angetreten hatte (währenddessen man im Wesentlichen nichts dazuverdienen darf). Zu den vielen, bereits referierten Problemstellungen (Frage der Zulässigkeit, Versicherungsnehmer der Rechtsschutzversicherung ist (nur) der Agent, allfällige zwischenzeitliche Scheidung bei „Übertragung“ an die Ehefrau etc.) kommt durch diese Rechtsprechung noch ein gravierender Punkt hinzu, warum eine solche „Lösung“ unterbleiben sollte.

 

Ihr Ansprechpartner: RA Dr. Gustav Breiter

  

Siehe auch die bisherigen Beiträge unter:

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